Fasching wird heutzutage in weiten Teilen unserer Gesellschaft als reine Spaßveranstaltung betrachtet. Viele Menschen, ob aktive Närrinnen und Narren oder Faschingsgäste machen sich wenig Gedanken über die Wurzeln des Fastnachtstreibens. Diese Abhandlung bemüht sich, die historische Entwicklung des Fastnachtsbrauchtums aufzuzeigen, Symbole, Kultfiguren und Bräuche zu erklären und den Wandel der Fastnachtstradition bis in die Neuzeit in Grundzügen darzulegen. Für das zur Verfügung stellen verschiedener Quellen möchte ich mich bei Herrn Manfred Ruppert (Deutsches Fastnachtsmuseum Kitzingen) und Herrn Hans Joachim Schumacher (ehem. Leiter des Deutschen Fastnachtsmuseums), einem profunden Kenner der Fastnacht im deutschsprachigen Raum ganz herzlich bedanken. Dem interessiertem Leser wünsche ich viel Vergnügen und spannende Momente beim Eintauchen in die „Geschichte der Fastnacht“. (Alexander Höhn/2011)
1. Die Begriffe Fasching, Fastnacht, Karneval
Alle drei Begriffe haben ihre Berechtigung und sind kulturhistorisch belegt. „Fasching“ hat sich aus dem Wort „Vastschank“ abgleitet, womit man den Erstausschank des stärkeren Bieres für die Fastenzeit meinte, mit dem man zuerst in den Klöstern die Fastengebote zu umgehen trachtete.
„Carne vale“ Fleisch lebe wohl“ ist Lateinisch und heißt: „, entstanden aus „carne“ (Fleisch) und „levare“ (wegstellen, wegtun). Diese Bedeutung spielt damit auf die dem Karneval folgende Fastenzeit an. Einer anderen Deutung nach ist das Wort Karneval aus den Wörtern „carrus navalis“ (Schiffswagen, Narrenschiff) hervorgegangen. Demnach würde es sich auf die Frühlingsfeste beziehen, die zu den Zeiten der Römer im Rheinland abgehalten wurden, um den Stapellauf neuer Schiffe zu feiern.
Die geschichtsträchtigste Bezeichnung für das Brauchtum ist wohl die Begriffsbestimmung „Fastnacht“ [althochdeutsch fasta „Fasten(zeit)“ und naht „Vorabend. Seinen Ursprung hat dies alles im Kirchenjahr, das zur Vorbereitung auf das Osterfest eine 40-tägige Fastenzeit vorschrieb. Da diese Fastenzeit am Aschermittwoch begann, belegte man den Tag vorher mit der Namensbezeichnung „Fastnacht“ und beging ihn mit ausschweifenden Gelagen und Völlereien. Später kamen auch öffentliche Spiele und Umzüge hinzu, die auch dazu dienten, sich die unerlässlichen materiellen Mittel durch „Heischen“ (fordern) zu beschaffen. Im fastnachtlichen Brauchtum spiegeln sich die unterschiedlichen Temperamente und Lebensauffassungen der deutschen Stämme wider.
Im Wesentlichen fasst man die Fastnacht im deutschsprachigen Raum in vier Brauchkomplexe zusammen: Die alemannische Fasnet, den rheinischen Karneval, den süddeutschen Fasching und unsere fränkische Fastnacht.
2. Fasching wird heute in aller Regel als reine Freizeitunterhaltung verstanden und gefeiert. Wo liegen die kulturellen Wurzeln des Brauchtums?
Überwiegend wird das Faschingstreiben heutzutage als reine Freizeitunterhaltung dargeboten und von der Mehrheit auch genau so wahrgenommen. Aber, auch wenn sich die Brauchausübenden unserer Zeit dessen nicht immer bewusst sind: Viele uns bekannter Symbolfiguren (Garden, Hofnarren, Flecklasmänner, Pleinfelder Hummel, Elferräte u.a.), Rituale (Ordensverleihungen, Maskerade, Kostümierung u.a.) und Veranstaltungen (Weiberfastnacht, Narrenumzüge, Prunksitzungen u.a.) haben sich im Laufe der Zeit herausgebildet und etabliert. Darum kann fastnachtliches Brauchtum auch nicht isoliert betrachtet werden, es ist stets eingebunden in den gesamten Lebenskomplex des Menschen. Seine Entstehung ist auch nicht auf ein bestimmtes Datum fixierbar, wohl aber einzelne seiner Stilausformungen.
2.1 Die Wurzeln: Frühchristliche Fastnacht
Aus frühchristlicher Zeit sind uns üppige Gelage, Tänze, Straßenspiele, Heischeumgänge und Rügebräuche überliefert. All dies muss in frühchristlicher Zeit unter dem geschichtsbeherrschenden Einfluss der Kirchenordnung gesehen werden. Sie alleine legte Glaubensinhalte und Glaubensformen fest und bestimmte auch den äußeren Ablauf der Kulte. Fasten- und Bußübungen gehörten zu den festen Bestandteilen einer christlichen Lebensführung und waren so unausweichlich. Das Geschehen am Tag vor Beginn der vorösterlichen Fastenzeit zeichnete von all dem ein gegenteiliges Bild. Essen und Trinken, Spielen und Tanzen, Ausgelassenheit und Freude, Spott und Parodie standen an diesem Tage im Mittelpunkt des Volkstreibens. Das äußere Erscheinungsbild blieb dabei recht bescheiden, da die wirtschaftlichen Verhältnisse äußerst begrenzt waren. Alles was nicht mehr brauchbar war wurde zu Verkleidung und Vermummung genutzt: durchlöcherte Säcke, alte Lumpen, Stroh, Holzspäne, Hühnerfedern usw. So entstanden die mit Ruß geschwärzten Butzen, die Flecklaskostüme (u.a. Spalter Fleckla, Allersberger Hexen) und Strohbären, die heute aus viel kostbareren Materialien gefertigt werden. Die dabei gegen Ausschreitungen vorgehende kirchliche Obrigkeit unterstellte dem Brauchgeschehen heidnische Ursprünge und Überlieferungen und „verteufelte“ es so im wahrsten Sinne des Wortes.
2.2 Fastnacht gesellschaftsfähig? Vom Volksbrauch zur Festkultur
Im Hochmittelalter entfalteten sich, getragen von den Zünften, Prunkaufzüge, Straßenumzüge, Festtänze und Fastnachtsspiele. Das Leben in den Städten des Mittelalters wurde weitgehend von den Lebens- und Arbeitsgewohnheiten der in ihnen sesshaften Handwerker bestimmt. In Zunftgemeinschaften zusammengeschlossen gaben sie sich ihre eigene Ausbildungs-, Gewerbe-, und Gesellschaftsordnung. Auch das Fastnachtstreiben blieb davon nicht unberührt. Waren es am Anfang nur repräsentative Zunfttänze die das Geschehen in den Straßen prägten, so bildeten sich bald eigene Fastnachtssitten aus. Dazu gehörten die Heischumgänge der Gesellenbünde bei den Meistern, die sich zu prunkvollen Aufzügen weiterentwickelten. Nachweislich gelang es erstmals den Metzgern in Nürnberg die politisch gewachsene Ständeordnung und die damit verbundene Kleiderordnung zu durchbrechen. Stillschweigend duldete der Nürnberger Magistrat, dass sie zur Fastnacht immer prachtvollere und mit „Schmuckformen der höheren Stände“ versehene Kostüme verwendeten. Der Hang, sich hierbei aus der Masse abzuheben, führte zu immer bunteren und prächtigeren Kostümen. Nach und nach wurde somit der Schritt von der ländlich orientierten, rügenden und spottenden Fastnacht zum historischen Karneval vollzogen. In dieser „Zunftfastnacht“ rückte die personale Selbstdarstellung immer mehr in den Vordergrund und führte schließlich zur Säkularisierung des Brauchs, er sich zunehmend von kirchlichen Vorgaben befreite.
2.3 Höfischer Karneval: Hofnarren und Narrenfreiheit und Kostümbälle
Eine weitläufig bekannte Redewendung lautet: „Der hat Narrenfreiheit“. Im 16./17. Jahrhundert waren an verschiedenen europäischen Höfen sogenannte „Hofnarren“ angestellt. Die Erhöhung des Narren im Hofamt sollte zwei wesentliche Bedürfnisse befriedigen: das nach Unterhaltung und das nach einer auch dem Absolutismus vertretbar erscheinenden Form der Kritik am Souverän. Hofnarren konnten die verschiedensten Rollen im Hofleben wahrnehmen. Einige waren geachtete und ernstgenommene Ratgeber ihrer Fürsten, andere wurden als leichtfertige Spötter gefürchtet, weil sie den Hofstaat auf Kosten der ihnen unterlegenen Hofschranzen amüsierten. Noch heute treten viele Büttenredner in der Rolle des Hofnarren auf, um Personen des öffentlichen Lebens, wie Politiker oder Wirtschafts-, und Verbandsvertreter den Spiegel vor Augen zu führen. Erasmus von Rotterdam schreib in seinem Buch „Lob und Torheit“ dazu: „Wenn dasselbe ein Weiser sagte, würde es ihm den Kopf kosten, spricht es aber ein Narr aus, bereitet es unvorstellbaren Spaß.“ Darüber hinaus erkannten die Landesfürsten, dass sich die Festformen der Fastnacht vortrefflich dazu eigneten, dem Leben an ihren Höfen Glanz und Anziehungskraft zu verleihen. Und so brach mit dem 16. Jahrhundert auch die Epoche des höfischen Carnevals aus. Weltliche Lustspiele, jetzt Comödien genannt, Redouten, Maskenspiele und prunkvolle Kostümbälle , bei denen exotische Verkleidungen dominierten, gehörten zu den Standartangeboten im höfischen Gesellschaftsleben (u.a. der weltweit bekannte venezianische Karneval). Viele seiner kostümmäßigen Schmuckformen wurden durch Kopie aber auch über satirische Abwandlungen in die Volksfastnacht übernommen.
2.4 Goethes Reisebericht über den „Römischen Karneval“ als (Mit)Initiator des bürgerlichen Karnevals in Deutschland
Als Johann Wolfgang von Goethe in den Jahren 1794 und 1795 auf seiner Italienreise den Carneval in Rom erlebte erreichte die Kostümvielfalt im fastnachtlichen Bereich gerade ihren Höhepunkt. In einer seiner reich illustrierten italienischen Reiseerinnerungen hat er den Carneval in Rom wortmächtig beschrieben. Flugs übertrug man das Gelesene auf Köln, machte aus dem König Karneval in Rom den Helden Karneval von Köln und stellte ihm zunächst, ganz wie Goethe es beschrieben hatte, die Prinzessin Venetia und den Dogen von Venedig als Begleiter zur Seite. Deren Plätze nahmen später die Kölner Jungfrau und der Kölner Bauer ein. Die Gazetten verbreiteten die erstaunlichen Neuigkeiten über ganz Deutschland und vielerorts begann man dieses Treiben nachzuahmen. Nach der französischen Revolution 1789 wurde das Bürgertum selbstbewusster – der höfische Karneval des Humanismus und der Renaissance wurde vom bürgerlich-romantischen Karneval abgelöst breitete sich als stärker politisch-literarisch ausgerichtet im ganzen deutschsprachigen Raum aus.
2.5 Narrenkappe, Orden, Prunksitzungen, Garden und Reden – Rituale der entstehenden bürgerlich-demokratischen Gesellschaft
Bräuche bilden, wenn sie sich verfestigen, eigene Rituale aus. Im Karnevalsgeschehen waren dies vor allem Sitzungsrituale. Mit ihnen ahmte demokratische Grundformen nach, die im 19. Jahrhundert mehr und mehr die politische Szene prägten: Sitzungsleitung und Protokollführung, Debattenbeiträge und Abstimmungen, Demonstrationen und Fraktionsbildungen. Schon Ende der 1820er Jahre hielt die Narrenkappe Einzug ins Geschehen. Ausgerechnet dem preußischen Generalmajor Baron von Cettritz und Neuhaus kam wie aus heiterem Himmel der Einfall. Am 14. Januar 1827 traf er sich mit Freunden und Förderern zur Vorbereitung des Straßenspiels. Als Unterscheidungsmerkmal der Eingeweihten sollten diese auf Vorschlag des Barons ein kleines, buntfarbiges Käppchen während der Versammlungen aufsetzen, „um diejenigen, die hier unberufen eindringen, erkennen und nach Verdienst abweisen zu können“. „Gleiche Brüder, gleiche Kappen“ war die Losung des Barons. Aus Redebeiträgen zu nüchternen Organisationsfragen wurden unterhaltsame Persiflagen und satirische Auseinandersetzungen, wurde der Ordenskult der restaurierten Gegner durch eigene Produkte entlarvt und Repräsentanten der Macht der Lächerlichkeit preisgegeben. Die politische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist rückte in den Mittelpunkt karnevalistischer Aktionen. Die ersten Prunksitzungen, welche nach streng festgelegtem Protokoll abzulaufen hatten, waren geboren. Prunksitzungen sind noch heute die mit Abstand gebräuchlichste karnevalistische Veranstaltungsform. Ordensverleihungen und politische Büttenreden sind ebenso integraler Bestandteil im Karneval der Gegenwart.
2.6 Fazit: Entwicklung des Brauchtums Fastnacht, Fasching, Karneval
Vielfach wurde in der Geschichte die „Ventilfunktion“ der Fastnacht und des Karnevals bedeutsam, etwa im satirisch gewendeten Widerstand gegen kirchliche Institutionen seit dem 15. Jahrhundert oder gegen die französische Besatzung im Rheinland Anfang des 19. Jahrhunderts, wovon v.a. in Rosenmontagszügen zeitkritische Elemente erhalten haben. Der Straßenfasching als solcher hatte von jeher eine große Bedeutung, da sich in ihm alle Bevölkerungsschichten wiederfinden konnten. Erst später verlagerten sich viele Veranstaltungen in die Säle und mit dem Aufbrechen monarchischer Strukturen und der zunehmenden Demokratisierung der Gesellschaft entwickelte sich aus einem zunächst höfischen Carenval der Bürgerkarneval.
3. Strohbären, Winterteufel, Flecklasmänner einerseits Garden, Funkenmariechen und Elferräte andererseits. Die Fastnacht ist facetteneich, wie ist es dazu gekommen?
Alles menschliche Tun und Handeln wird von inneren Beweggründen bestimmt. Sie erwachsen aus Wünschen, Vorstellungen, Vorhaben und Notwendigkeiten, die sich aus den jeweiligen Lebenssituationen ergeben. Das Leben in der geschichtlichen Frühzeit war von der Auseinandersetzung der Menschen mit den Kräften der sie umgebenden Natur geprägt. Dies bedeutete für den Jäger die Abhängigkeit vom Verhalten seiner Beutetiere, für den Ackerbauern die unauflösliche Bindung an den jahreszeitlichen Wechsel der Vegetation.
3.1 „Unter dem Zauber der Maske“, Maskierung als Schutz und Mittel zum Identifikationswechsel
Jagdzauber und Vegetationsbeschwörung als Herbeiführung günstiger Umstände für die Lebens- und Existenzsicherung können darum als älteste religiöse Handlungsformen angesehen werden. Diese Verhaltensweisen prägten auch das profane Gemeinschaftsleben und führten zur Entstehung artnaher Sitten und Gebräuche. So ist die Übernahme des Maskenkultes in Spiel, Tanz und Umgangsbräuche zu verstehen. Der besondere Reiz der Maske liegt wohl in dem durch sie leichter zu vollziehenden Identifikationswechsel. Die Maske hilft auch Hemmungen zu überwinden, Schranken des eigenen Ichs zu übersteigen, Neues zu gestalten und Fremdartiges sich eigen zu machen.
3.2 „So treiben wir den Winter aus…“ Strohbären, Flecklasmänner und Kipfenberger Fasenickel
Zu den bedeutendsten Vorgängen im Jahreslauf zählt ohne Zweifel der Übergang vom Winter zum Frühjahr. Für den Menschen der frühen Epochen in seinen realen, d.h. kosmischen Ursachen nicht erkennbar, wurde der auf das Walten überirdischer Kräfte zurückgeführt. Dieses durch Zauber und Magie, Beschwörung und rituelles Handeln zu beeinflussen war darum von existenzieller Bedeutung. Eine der ältesten Formen hat sich im Umherführen der „Strohbären“ erhalten. Mit ihm zog man von Gehöft zu Gehöft um Naturalien für das nachfolgende Fastnachtstreiben der Dorfjugend zu „erheischen“. Lärmen und Johlen, aber auch Musizieren und Deklamieren gehörten zu diesem Heischebrauch ebenso, wie das abschließende „Entkleiden“ des Strohbären und die Verbrennung seiner Hülle. Damit war der Winter für die Dorfgemeinschaft symbolisch überwunden. Die „Kipfenberger Fasenickl“ als Beispiel fränkischer Flecklasläufer aus dem Altmühltal, nimmt dort mehrere Rollen im fastnachtlichen Symbolspiel wahr. So setzt er seine meterlange Peitsche in Aktion, um mit lautem Knallen den Dämonen des Winters den Abschied, den Vorboten des Frühlings ihren Einzug zu verkünden. Aber er scheut auch nicht zurück, die Kinder des Ortes zu erschrecken und sie nach dem Einfangen mit der Peitschenschnur gefesselt wegzutragen. Als Entschädigung für die spätere Freilassung müssen die „Opfer“ den Fasenickeln eine Brezel schenken. Ähnliche furchterregende Gestalten sind die in Spalt beheimateten „Flecklasmänner“.
3.3 Symbole der Fastnacht und des Karnevals und ihre Entstehung
3.3.1 Garden, Funkenmariechen
Bereits 1815 gab man auf Flugblättern und mit Schmähschriften seine Abneigung gegen das militärische Gehabe der Restauration zu erkennen, die sich nach der Niederwerfung Napoleons auf die Unterdrückung der eigenen Untertanen konzentrierte. In den Umzügen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden darum ihre Reglements kräftig persifliert und ihr Aussehen gründlich kolportiert. Der gleichzeitig einsetzende Historismus führte vielerorts zur Gründung von Vereinen, die sich die Weiterführung auslaufender Traditionen zum Ziele setzten. So entstanden Bürgerwehren und Soldatenkorps, die Uniform, Reglement und Formelemente aufgelassener Militäreinheiten übernahmen und sie teilweise durch persiflierte Zugaben veränderten. Diese „Funken“, „Ranzengarden“, „Stadtsoldaten“, „Bürgerwehren“, „Prinzengarden“ und „Reiterkorps“ gaben den Abläufen der Straßenfastnacht ein festeres Gefüge und wurden als Ordnungselemente bald unentbehrlich. Auch sie sind Ausdruck der Entwicklung weg vom höfischen Karneval des 17./18. Jahrhunderts zum Bürgerkarneval des 19./20. Jahrhunderts und des gegenwärtigen Faschingstreibens.
3.3.2 Karnevalssitzungen, Prunksitzungen, Das Komitee (später Elferrat)
Mit der Gründung eigenständiger Karnevalsvereine oder Karnevalsclubs und deren Eintrag in das Vereinsregister im 19. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt fastnachtlicher Aktivität nach und nach in deren gesellige Zusammenkünfte. Waren diese am Anfang mehr Mittel zu dem Zweck gewesen, das öffentliche Auftreten der Aktiven und den Ablauf der Straßenspiele zur Fastnacht vorzubereiten, so wurden sie bald, dem allgemeinen Trend zu kurzweiliger und anregender Unterhaltung folgend, zum humorvollen Begegnungsforum für die eigenen Mitglieder und deren Freunde. Reden und Liedvorträge, Kurzszenen und Tänze, Parodien und Persiflagen wurden in bunter Folge eingeschoben und da dies alles ohne Beispiel in der Vergangenheit war, rückte es schnell in den Mittelpunkt des Interesses. Die karnevalistische Sitzung war geboren und entwickelte ihre eigenen Regularien und Formen: Das Komitee (später Elferrat) eroberte sich den zentralen Platz auf der Bühne, der Präsident wurde zum schlagfertigen Moderator, die besten Redner und Sänger stiegen zu lokalen Stargrößen auf und wer etwas auf sich hielt, versuchte dabei zu sein und eine der begehrten Auszeichnungen zu erhalten. Damen waren über ein halbes Jahrhundert hindurch zu diesen Treffs nicht zugelassen und erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts plakatierte man gelegentlich eine sogenannte „Damensitzung“, was nichts anderes bedeutete, als dass die Anwesenheit von Damen hier erwünscht war.
3.3.3 Auszeichnungen, Orden
Angefangen hatte es kurz nach dem Jahre 1823 in Köln am Rhein, als das im gleichen Jahr gegründete „festordnende Komitee des Kölner Karnevals“ nach einer Möglichkeit Ausschau hielt, seinen verdienten Mitarbeitern ein sichtbares Zeichen der Anerkennung zukommen zu lassen. Neben Titeln und Würden (Generalmajor, Hofmarschall, Fahnenjunker etc.) lag die Verleihung von Orden dazu nahe, denn das Hofleben des Helden Karneval orientierte sich in seinen Abläufen an den realen höfischen Traditionen. In einigen Karnevalsregionen überwog anfänglich noch die Absicht zur Persiflage (Aachen: Schwerenöterorden usw.). Ihn anderen Hochburgen verfolgte man mehr dekorative Absichten oder versuchte sich in hintergründigen symbolischen Aussagen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich der Karnevalsorden seinen festen Platz im Karnevalsgeschehen erobert und seine immer prächtiger werdende Ausführung spiegelt auch den wirtschaftlichen Aufschwung jener Jahre wider. Orden sind heute, je nach Originalität des Motivs und Ausführung, begehrt bei Fastnachtern und Sammlern.
3.3.4 Weiberfastnacht: Krawatten und Hosen
Gegen Ende des Mittelalters bildete sich innerhalb des fastnachtlichen Brauchgeschehens die sog. „Weiberfastnacht“ heraus. Anfänglich war es naheliegend, dass im Rahmen der am Donnerstag vor Fastnacht üblichen Vorbereitungen, zu denen auch das Ausbacken von Küchlein in heißem Fett gehörte, die fleißigen Frauen ihre Bedürfnisse an frohen Gesprächs- und Tafelrunden auslebten. Dies Treffen am „schmalzigen, schmotzigen oder schmutzigen“ Donnerstag arteten schließlich vor allem in den unteren Schichten zu regelrechten Frauengelagen aus. Die vielerorts spontan ablaufenden Frauenfeste nahmen bald eine stark emanzipatorische Form an und gipfelten schließlich in regelrechten Frauenregimenten am jetzt “Weiber-Fastnacht“ genannten Donnerstag. Krawatten schnitt man dabei keine ab, da es diese ja noch nicht gab, aber an die Hosen ging es den Männern. Solche zu tragen war nach den Vorstellungen der mittelalterlichen Gesellschaft deren ausschließliches Vorrecht; Frauen in „Beinkleidern“ waren unvorstellbar. Auch heute noch sagt man herrschsüchtigen Frauen nach, dass sie „die Hosen anhätten“, obwohl Frauen, die sie tragen, längst eine Selbstverständlichkeit geworden sind.
4. Fasching und Kirche. (K)Ein Widerspruch!?
Es fällt schwer, an den rein kirchlichen Ursprung der Fastnachtsnarreteien zu glauben, zumal die Humanisten immer wieder den heidnischen Charakter dieser „Baccanalien der Christenheit“ hervorgehoben haben, aber es gibt genügend Zeugnisse, für die Meinung, dass es sich dabei tatsächlich um eine „rein katholische Veranstaltung“ handelt. Die Äußerungen des Mainzer Bischofs Paul Leopold Haffner (1829 – 1899), er halte den Karneval „für eine höchst christliche und wahrhaft katholische Institution und würde fast eine Ketzerei darin sehen, wenn man ihn abschaffen wollte“, untermauert dies. Sogar Päpste haben dem Fastnachtstreiben ihre Zustimmung gezollt: 1207 ließ sich Innozenz III. „in dominica dimissionis carnium“ am Sonntag vor Beginn des Fastens ein Spiel vorführen, das die „Abtötung des Übermuts unserer Lust“ allegorisierte, „damit wir von nun an keusch und nüchtern leben im Kampf um unsere Seele, um an Ostern würdig den Leib unseres Herrn empfangen zu können“. 1284 empfahl Martin IV. den Gläubigen „etliche Tage Fastnacht zu halten und fröhlich zu sein.“
4.1 Einflüsse der Reformationsbewegung
Die Reformatoren wandten sich schon bald gegen das nach ihrer Auffassung „papistische“ Fest der Fastnacht und verboten sie in ihren Einflussgebieten schließlich ganz. Der Reformator Martin Luther, welcher bekanntlich das Herz auf der Zunge trug, nannte dieses Treiben mit der ihm eigenen wortschöpferischen Prägnanz eine „Sauf- und Fressfastnacht“. Damit gingen die Brauchtraditionen in den protestantischen Ländern Deutschlands und Europas weitgehend verloren.
4.2 Kirche und Fasching – Fazit
Die (katholische) Geistlichkeit sprach in ihren Dekreten zur Fastnacht nunmehr vorwiegend von „Baccanalia Christianorum“, also von „Freudenfesten der Christenheit“; kurz: Fasching und Kirche, das passt zusammen. Viele aufrechte Christen tragen zur Fastnacht Narrenkappen – völlig legitim. Eine mögliche Angst vorm Fegefeuer ist demnach unbegründet.
5. Im Jahr 2010 haben wir 20 Jahre Wiedervereinigung gefeiert. Fasching in einem sozialistischen Gesellschaftssystem, Fasching in der ehemaligen DDR. Eine Gratwanderung zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Nach Zahlen des Zentralen Arbeitskreises Karneval gab es im Sommer 1988 rund 1340 offiziell registrierte Karnevalsclubs in der DDR mit etwa 70.000 aktiven Mitgliedern . Gemocht haben sie ihn nicht, die politischen Repräsentanten in der ehemaligen DDR, denn er widersprach im Prinzip dem von ihnen betriebenen Personenkult auf den Führungsebenen von Partei und Regierung und so wurde er in den ersten zehn Jahren offiziell weiterstgehend ignoriert. Das änderte sich schnell, als man erkennen musste, dass er zu einer kleinen Volksbewegung zu werden drohte, in der so mancher Systemkritiker eine Nische zu finden hoffte. Wie alles in der DDR, so musste auch der Bereich der Fastnacht gesetzlich und sicherheitsrechtlich detailliert geregelt werden. Zur inhaltlichen und materiellen Förderung bediente man sich eines Einstufungssystems, dessen Beurteilungsergebnisse Auswirkungen auf die Auftrittsvergütungen er Redner und auf die allgemeine finanzielle Förderung der Klubs hatte. Da sich die Staatssicherheit für Ablauf und Inhalte der Veranstaltungen interessierte, stand nicht selten die berufliche Existenz allzu Mutiger dabei auf dem Spiel. Wie die Karnevalisten in der ehemaligen DDR dies alles meisterten, gehört zu den Glanzleistungen des Karnevals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
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Quellen:
Diverse Berichte aus dem Archiv des Deutschen Fastnachtsmuseums Kitzingen überwiegend verfasst von Hans Joachim Schumacher (Kitzingen).